Leo und der Schatz des Wolkensees
**Leo der Wolkenhüpfer und der Wolkensee**
Es war ein ganz besonderer Morgen über dem Wolkensee. Die Wolken waren wie flauschige Zuckerwatte-Kissen, die sanft im Rhythmus des Windes schwebten. Und in dieser himmlischen Welt lebte Leo, der Wolkenhüpfer. Obwohl Leo klein und von zarter Statur war, konnte er springen wie niemand sonst. Mit jedem Sprung glitt er von einer Wolke zur nächsten, als wäre es das Natürlichste der Welt.
Leo liebte seine Freiheit, die leichten, weißen Wolken unter seinen Füßen zu spüren und den tiefblauen Himmel über sich zu sehen. Doch heute schien irgendetwas anders zu sein. Ein kühler Wind fuhr durch sein Haar und brachte ein eigenartiges Gefühl mit sich.
„Wo bleibt nur die Sonne?“, murmelte Leo und setzte sich auf eine besonders dicke Wolke. Gerade als er sich umsah, hörte er ein lautes Kreischen.
„Krah! Krah! Da bist du ja, Leo der Wolkenhüpfer!“
Leo erschrak und drehte sich abrupt um. Über ihm schwebte Mimi, die Möwenchefin, gemeinsam mit ihrer ganzen Möwenbande. Mimi war bekannt für ihren scharfen Blick und ihre strenge Art. Doch böse war sie nicht – sie war einfach… fordernd.
„Mimi“, sagte Leo und versuchte zu lächeln, „wie geht’s dir?“
„Das ist jetzt nicht wichtig!“, schnatterte Mimi, während ihre Flügel wild flatterten. „Hast du es noch nicht gemerkt? Der Wolkensee ist außer Balance geraten!“
Leo kniff die Augen zusammen und blickte sich um. Tatsächlich, die Wolken schienen unruhig, als würden sie jeden Moment auseinanderdriften. Eine schwere Wolke hing seltsam tief, als wäre sie ganz müde. Andere Wolken wirbelten viel zu schnell herum, als ob sie vor irgendetwas fliehen wollten.
„Was… was ist passiert?“, stotterte Leo, der nun doch etwas nervös wurde.
„Jemand hat den Wolkenstein aus seiner Ruhe position gerissen!“, erklärte Mimi mit ernster Miene. „Ohne ihn gerät der ganze Wolkensee durcheinander. Und weißt du, wer das alles reparieren muss?“
Leo zuckte zusammen. „Ich?“
„Ja, du! Wer sonst?“, antwortete Mimi streng, aber die Wahrheit war, dass sie tief in ihrem Herzen wusste, dass Leo derjenige war, der die Aufgabe bewältigen konnte.
Und so nahm das Abenteuer seinen Lauf. Leo fühlte, wie sein Herz schneller schlug, doch er wusste, dass er diese Aufgabe übernehmen musste – alle Bewohner des Wolkensees zählten auf ihn.
**
Gemeinsam mit Mimi flog Leo los, um den Wolkenstein zu finden. Nach ein paar Minuten entdeckten sie eine ganz besondere Wolke – sie war golden gesäumt und leuchtete von innen heraus. „Der Tempel des Wolkensteins“, flüsterte Mimi ehrfürchtig.
Vorsichtig hüpfte Leo auf die Wolke zu, während sich Mimi hinter ihm hielt und die Möwenwache befahl, auf Abstand zu bleiben. Vor ihnen befand sich ein Stein aus reinstem Silber, schwebend in der Mitte der Wolke. Doch er war versetzt – nicht in seiner ruhigen, schimmernden Mitte sondern leicht nach rechts gekippt. Kein Wunder, dass der Wolkensee in Unordnung war!
Gerade als Leo den Stein erreichen wollte, tauchte jemand auf. Es war Glitzi, der winzige Wolkenkobold. Glitzi hatte ein rundes Gesicht, schillernde Flügel wie eine Libelle und war fast so klein wie ein Daumen.
„Ach, Leo, gut dass du da bist! Ich habe versucht den Stein zu polieren“, begann Glitzi aufgeregt zu erzählen, „aber irgendwie hab‘ ich ihn aus Versehen verschoben… und jetzt… na ja…“
Leo atmete tief ein. Glitzi hatte immer gute Absichten, aber oft verursachte er Chaos, wenn er versuchte zu helfen. Doch Leo wusste: Jetzt war nicht der Moment, wütend zu sein. Glitzi hatte nicht absichtlich das Gleichgewicht durcheinander gebracht.
„Okay, Glitzi“, sagte Leo ruhig. „Es ist in Ordnung. Wir werden das zusammen wieder richten.“
Mimi setzte gerade an, etwas zu sagen, doch dann hielt sie inne und nickte still. Sie sah, dass Leo die richtige Einstellung hatte.
Plötzlich, als Leo beginnen wollte, den Wolkenstein in seine Position zu bringen, passierte es: Ein starker Windstoß riss durch den Wolkensee, traf den Stein und schleuderte ihn in die Höhe.
„Oje, er geht verloren!“, rief Leo entsetzt.
Aber dann kam Mimi ins Spiel. „Schön festhalten!“, befahl sie und flatterte waghalsig nach oben. Die Möwenwache folgte ihr im Flug. Mit vereinten Kräften umkreisten sie den schwebenden Stein und versuchten, ihn zu fangen – doch der Wind spielte verrückt.
„Leo! Du musst springen!“, rief Mimi ihm mit ihrer scharfen Möwenstimme zu.
„Springen?“, wiederholte Leo zögernd. „So hoch?“
„Du bist der Wolkenhüpfer! Wenn jemand das kann, dann du!“
Das war der Moment, in dem Leo den Mut fand. Er spürte das Vertrauen in sich, auch wenn der Sprung beängstigend wirkte. Mit einem tiefen Atemzug spannte er die Muskeln an, fühlte die Kraft in seinen Beinen und… SPRANG.
Höher und höher segelte Leo durch die Luft, direkt auf den Wolkenstein zu. Mit einem eleganten Schwung griff er den Stein und landete sanft wieder auf den Wolken.
„Ich… hab ihn!“, rief Leo mit aufgeregtem Lachen.
„Gut gemacht!“, sagte Mimi mit ihrer streng-liebevollen Stimme. Glitzi klatschte fröhlich in die Hände, seine Flügel summten aufgeregt.
***
Nun stand die letzte Aufgabe bevor: Leo und Mimi halfen Glitzi, den Wolkenstein langsam wieder in die Mitte der goldenen Wolke zu setzen. Als er schließlich in Position war, begann er zu strahlen – heller und klarer als zuvor. Eine sanfte Welle aus Licht ging durch den Wolkensee, beruhigte die aufgewühlten Wolken und stellte wieder das Gleichgewicht her.
Der Himmel über dem Wolkensee wurde wieder ruhig, die Wolken schwebten sanft und friedlich, und auch Mimi sah weniger streng aus als sonst.
„Danke“, sagte sie schließlich zu Leo. „Es war keine leichte Aufgabe. Aber du hast gezeigt, dass du wahre Stärke besitzt.“
„Ja, und viel Mut!“, fügte Glitzi eifrig hinzu.
Leo lächelte, fühlte sich plötzlich größer, mutiger und erwachsener. „Ich denke, wir haben das alle zusammen geschafft.“
Während die Sonne warm auf den Wolkensee schien, flogen die Möwen in Formation zurück, Glitzi saß zufrieden auf einer kleinen Wolke, und Leo – unser Wolkenhüpfer – fühlte sich stolz, dass er das Gleichgewicht wiederhergestellt und dabei so viel gelernt hatte: über Freundschaft, Mut und die Verantwortung, sich Herausforderungen zu stellen, auch wenn sie erst unüberwindbar scheinen.
Und der Himmel über dem Wolkensee? Der war wieder so strahlend blau wie an den schönsten Tagen.