Lennart und der junge Drache Rillum
In einem kleinen Dorf am Rande des Traumwalds lebte ein Junge namens Lennart. Lennart war kein gewöhnlicher Junge. Er hatte strubbelige Haare, die jede Farbe hatten, außer einer natürlichen, und seine Augen funkelten in einem hellen Grün wie die Blätter im Frühling. Das Besondere an Lennart war jedoch nicht sein Aussehen, sondern seine Fähigkeit, mit den Bäumen zu sprechen. Es war ein Geheimnis, das er nur mit seinem Papagei Bibo teilte, der ständig auf seiner Schulter saß und schlaue Dinge von sich gab.
Eines Tages, als sich der Nebel über dem Traumwald dichter legte und die Vögel in der Dämmerung schwieg, rief ein Baum namens Elda nach ihm: „Lennart, komm zu mir. Es gibt ein Missgeschick, das nur du beheben kannst.“
Lennart eilte zu Elda, einem alten, knorrigen Baum mit einer Rinde, die aussah, als wäre sie von Millionen von Jahren gezeichnet. „Was ist passiert, Elda?“, fragte Lennart besorgt.
„Der Wald ist verwirrt“, begann Elda in einer langsamen, tiefen Stimme. „Gestern kam ein seltsamer Besucher, ein junger Drache namens Rillum. Er ist nicht böse, aber er hat Chaos in den Wald gebracht. Die Pilze wachsen plötzlich über Nacht so hoch wie Bäume, die Flüsse fließen rückwärts, und die Tiere können nicht mehr miteinander sprechen.“
„Ein Drache?“, fragte Lennart erstaunt. „Warum hat er das getan?“
Elda schwankte ein wenig in der Brise. „Er ist jung und ungestüm. Drachen haben große Kräfte, aber wenn sie sie nicht kontrollieren können, richten sie Unheil an. Ich glaube, er hat einfach Angst.“
Lennart überlegte eine Weile und dann sagte Bibo, mit seinem typischen, schrillen Ton: „Abenteuer! Abenteuer!“
„Abenteuer klingt gut“, sagte Lennart mit einem Lächeln. „Aber zuerst müssen wir Rillum finden.“
Elda zeigte mit einem Ast in Richtung der tiefsten Teile des Waldes, wo die Bäume so dicht standen, dass kaum noch Licht hindurchdrang. „Er hat sich dort versteckt. Aber pass auf, nicht alles in diesem Wald ist freundlich.“
Mit einem entschlossenen Nicken machte sich Lennart auf den Weg. Bibo flatterte aufgeregt über ihm, als sie in den dunklen Teil des Waldes vordrangen.
Nach einigen Stunden marschieren, durch enge Pfade, die von riesigen Farnen überwuchert waren, passierte plötzlich etwas Seltsames. Der Boden unter ihnen begann zu wackeln.
„Was ist das?!“ rief Bibo.
Lennart stolperte nach vorne, als der Boden sich weiter bewegte, und da erkannte er es: Sie standen auf dem Rücken eines riesigen, schlafenden Käfers!
„Ssssst!“ machte der Käfer mürrisch und öffnete seine riesigen, schwarzen Augen. „Wer wagt es, meinen Rücken zu betreten?“
Lennart sprang schnell ab. „Entschuldige, Herr Käfer, ich wusste nicht, dass du hier schläfst. Wir suchen den jungen Drachen Rillum. Hast du ihn vielleicht gesehen?“
Der Käfer brummte und streckte sich. „Ah, der junge Drache. Ja, er ist weiter oben, bei der Quelle des Flüsternbaches. Aber seid gewarnt – er weiß nicht, wie man vernünftig spricht, und hat ein Auge für Dummheiten.“
Lennart bedankte sich höflich und sie gingen weiter, bis sie den Flüsternbach erreichten. Der Bach selbst schien wirklich zu flüstern, denn kleine Regenbögen tanzten über dem Wasser, während einzelne Wassertropfen Geschichten von fernen Ländern zu erzählen schienen.
Und dort, direkt neben der Quelle, saß Rillum. Er war kein riesiger Drache – noch nicht – aber war fast so groß wie ein Pferd. Er hatte smaragdgrüne Schuppen und winzige Flügel, die noch kaum ausgebildet waren.
„Hey… du bist der Drache, der den ganzen Wald durcheinanderbringt!“, rief Bibo halb belustigt, halb empört.
Rillum hob sein großes, rundes Drachenhaupt und sah die beiden mit traurigen Augen an. „Ich wollte das nicht“, brummte er. „Ich wollte nur mit dem Wald spielen, aber alles, was ich anfasse, verwandelt sich oder geht schief. Jetzt verstecke ich mich hier, weil ich nicht weiß, wie ich das rückgängig machen soll.“
Lennart sah den jungen Drachen an und erkannte die Angst und Verwirrung, die in seinen Augen lag. „Ich glaube dir“, sagte er sanft. „Und ich denke, wir können es gemeinsam schaffen, den Wald wieder in Ordnung zu bringen.“
„Wirklich?“ fragte Rillum hoffnungsvoll und wedelte dabei aufgeregt mit seinen winzigen Flügeln. „Aber wie? Ich habe keine Kontrolle über meine Kräfte.“
Lennart setzte sich neben ihn. „Gemeinsam schaffen wir das. Du musst nur lernen, deine Kräfte zu beherrschen. Ich werde dich dabei unterstützen.“
Mit neuen Mut und Vertrauen in Lennart beschloss Rillum, es noch einmal zu versuchen. Lennart legte eine Hand auf den Drachen und sprach ruhig: „Konzentriere dich auf die Dinge, die du verändern möchtest. Denke an den Wald, wie er früher war. Wie du ihn in Ordnung bringen möchtest.“
Rillum schloss seine Augen und begann sanft zu summen. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Zeichen der Veränderung sichtbar wurden. Die zu großen Pilze begannen zu schrumpfen und nahmen ihre ursprüngliche Form an. Die Flüsse flossen wieder in die richtige Richtung, und die Tiere im Wald fanden langsam ihre Stimmen zurück.
„Es funktioniert!“, rief Bibo begeistert, als er über den regenerierten Wald flog. „Der Kerl hat doch was drauf.“
Als der letzte Nebel sich lichtete und die Sonne ihre Strahlen wieder durch die Bäume schickte, stand Rillum mit einem stolzen Lächeln da. „Ich habe es geschafft!“
„Aber nicht ganz allein“, sagte Lennart lachend. „Wir haben es gemeinsam geschafft.“
Rillum nickte. „Du hast mir Mut gemacht. Ich dachte, ich hätte alles falsch gemacht, und ich war so verunsichert. Aber jetzt weiß ich, dass sogar Drachen manchmal Unterstützung brauchen.“
„Das tun wir alle“, meinte Lennart. „Und du musst nicht immer alles perfekt machen. Solange du Verantwortung übernimmst und dein Bestes versuchst, wird sich alles fügen.“
Mit den Worten drehte sich Lennart um. „Komm, lass uns nach Hause gehen und den anderen erzählen, was du alles gelernt hast.“
Und so gingen Lennart, Bibo und Rillum gemeinsam zurück ins Dorf, wo der Wald sich wieder zu seinem alten, friedlichen Selbst verwandelt hatte, und sie wussten, dass sie es nur als Team geschafft hatten.