Linnea und der fliegende Garten

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**Titel: Linnea und der fliegende Garten**

In einem kleinen Dorf, umgeben von dichten Wäldern und weiten Feldern, lebte ein Mädchen namens Linnea mit ihrer Familie. Linnea hatte leuchtend rote Haare und eine seltsame Gabe: Sie konnte sprechen, ohne ihre Lippen zu bewegen. Nicht mit Menschen, nein, das wäre zu einfach gewesen. Linnea konnte mit Pflanzen sprechen.

Ihr Zuhause war ein wunderschöner Garten, angelegt von ihrer Mutter und ihrem Vater. Doch der Garten war nicht wie jeder andere. Er schwebte in der Luft, hoch über dem Boden – ein fliegender Garten! Die Blumen, die dort wuchsen, konnten Lieder singen, die Beeren waren so groß wie Melonen und die Bäume erreichten fast die Wolken. Jeden Tag half Linnea ihren Eltern, die Pflanzen zu pflegen. Aber eines Tages sollte alles anders werden.

***

Es war ein sonniger Morgen, als Linnea die ersten Anzeichen bemerkte: Die Blumen im Garten hingen ihre Köpfe traurig nach unten, die Bäume schienen ihre Blätter zu schütteln, als wären sie müde, und die Beeren begannen zu schrumpfen.

Panisch rannte Linnea zu ihrem Lieblingsbaum, „Großvater Ulme“, der älteste und weiseste Baum im schwebenden Garten. „Was passiert hier, Großvater Ulme? Warum welkt der Garten?“, fragte sie, ihre Hände fest auf die Rinde des Baumes gelegt.

Die tiefe, brummende Stimme des Baumes antwortete: „Der Garten ist in Gefahr, Linnea. Jemand hat das Gleichgewicht gestört.“

„Wer könnte so etwas tun?“ Linnea schaute sich hektisch um, als plötzlich ein grauer Nebel über dem Garten lag. Im dichten Nebel erschien eine dunkle Gestalt. Es war… Nebelfee Morana, eine Kreatur, die das Licht nicht mochte und den Nebel bevorzugte. Morana war niemand wirklich Böses, aber sie hatte immer viel Spaß daran, anderen Aufgaben zu stellen – und wusste dabei nie, wann sie zu weit ging.

„Oh, hallo Linnea,“ sagte Morana belustigt. „Du hast bemerkt, dass etwas nicht stimmt? Ich… habe vielleicht den Brunnen des Gartens ein wenig… verändert. Ein kleines Experiment,“ fügte sie mit einem kichernden Lächeln hinzu.

Linnea schnaufte. „Das Gleichgewicht wurde gestört, Morana! Der Garten stirbt!“

„Nun ja,“ meinte die Nebelfee und zuckte mit den Schultern. „Es war nicht meine Absicht, alles kaputt zu machen. Aber da du es schon bemerkst… es gibt da einen Weg, den Garten zu retten.“

„Wie?!“ Linneas Augen blitzten auf.

„Das war die spannende Wendung, auf die ich gewartet habe,“ sagte Morana mit einem schiefen Grinsen. „Inmitten der tiefen Wälder hinter dem Dorf gibt es einen uralten Baum namens Wandelbaum. In seinen tiefsten Wurzeln ruht das Herz des Gartens. Aber sei gewarnt: Der Weg dorthin ist nicht leicht, und du wirst Tests bestehen müssen.“

Linnea atmete tief ein. Sie wusste, sie musste schnell handeln. „Ich werde gehen. Aber das hier, Morana, war nicht in Ordnung!“

Die Nebelfee verdrehte die Augen. „Ja, ja, eine Lektion habe ich für heute wohl auch gelernt…“

***

Linnea schnappte sich ihren kleinen Rucksack und rannte in den dichten Wald. Ihr Hund, Wuschel, folgte ihr kläffend. Er war zwar klein und wuschelig, aber unglaublich mutig und schien immer genau zu wissen, wann Linnea jemanden brauchte. Gemeinsam schlugen sie sich durch das Unterholz, hin zu dem sagenumwobenen Wandelbaum.

Drei Prüfungen sollten sie auf dem Weg erwarten, wie Morana es angedeutet hatte.

Die erste Prüfung war die des Windes. Ein lautes Heulen erfüllte den Wald, als der Wind begann, immer stärker zu wehen. Die Bäume bogen sich, und Linnea musste sich an einem Ast festhalten, um nicht fortgeweht zu werden. „Wuschel!“ rief sie gegen den Wind an. „Halt dich an mir fest!“

Ihr tapferer Hund sprang an ihr hoch, und Linnea hielt ihn fest. Plötzlich fiel ihr ein, dass Wind ein Teil der Natur war. „Wenn ich mit Pflanzen reden kann… vielleicht kann ich auch den Wind bitten?“

Linnea schloss die Augen und konzentrierte sich: „Lieber Wind! Wir wollen doch nichts Böses. Lass uns bitte durch!“ Der Wind linderte sich, als er ihre leise Stimme hörte, und rubbelte sanft um Linneas Ohren, als Zeichen des Einverständnisses. Der Wind war besänftigt.

Die zweite Prüfung war die der Dunkelheit. Der Wald wurde so finster, dass Linnea die eigene Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte. Panik kroch ihr in den Nacken. „Ich… kann das nicht!“ flüsterte sie. Wuschel stupste sie mit seiner warmen Nase an und murmelte ein leises, beruhigendes Winseln. Der kleine Hund vertrieb die Angst, und Linnea erinnerte sich an die weichen Glühwürmchen, die sie oft in ihrem fliegenden Garten beobachtet hatte.

„Vielleicht gibt es hier auch jemand, der uns führen kann,“ murmelte Linnea hoffnungsvoll und begann, sanft die Äste um sie herum zu streicheln. Ein Ast begann plötzlich leicht zu vibrieren, und mit einem sanften Leuchten erschienen tausende kleine Glühwürmchen, die den Weg vor ihnen erhellten. „Danke,“ sagte sie leise und folgte dem Glitzerpfad der Insekten.

Die dritte und letzte Prüfung stellte sich ihr am Fuße des Wandelbaumes selbst: Ein riesiger Fluss schlängelte sich vor ihnen, dieser schien aus reiner, flüssiger Zeit zu bestehen – glitzernd, silberfarben, sich in alle Richtungen bewegend, als würde die Zeit selbst in krummen Bahnen fließen. Sie musste einen Weg über den Fluss finden, ohne festzustecken.

„Was jetzt?“, fragte Linnea verzweifelt.

Hinter ihr raschelte es plötzlich, und eine ruhige, tiefe Stimme sprach: „Du kannst mit der Zeit nicht kämpfen, Linnea. Du musst sie respektieren und mit ihr fließen.“

Linnea drehte sich um und sah eine riesige Schildkröte, so alt wie die Erde selbst. „Ich werde dich tragen,“ sagte der weise Schildkröte. „Alles was du tun musst, ist zu vertrauen.“

Linnea setzte sich vorsichtig auf den Panzer der Schildkröte, und gemächlich, aber sicher, trug sie Linnea und Wuschel über das seltsam schimmernde, zeitlose Wasser.

***

Am anderen Ufer angekommen, standen sie schließlich vor dem Wandelbaum, dessen Wurzeln tief in die Erde ragten. In seinem Herzen ruhte tatsächlich eine leuchtende Kugel – das Herz des Gartens. Mit einem Glitzern legte Linnea ihre Hand darauf.

„Bitte… gib dem Garten seine Kraft zurück,“ flüsterte sie, und mit einem sanften Leuchten wurde ihre Bitte erhört. Der Baum atmete tief ein, und Linnea sah, wie das Herz begann, wieder zu pulsieren. Der Garten hatte nun eine neue Chance.

Mit einem glücklichen Seufzen machte sie sich auf den Rückweg, begleitet von Wuschel und dem leichten Rauschen der Bäume. Als sie im Dorf ankam, sah sie, dass der Garten wieder in vollem Glanz erblühte, so strahlend und lebendig wie nie zuvor.

Morana stand lässig am Tor, spielte mit einem Nebelstreifen zwischen ihren Fingern. „Du hast es geschafft!“ rief sie leichthin.

„Ja,“ antwortete Linnea und lächelte. „Und du? Hast du etwas gelernt?“

Morana schaute einen Moment verlegen, dann zwinkerte sie. „Vielleicht… vielleicht sollte ich das nächste Mal besser aufpassen. Der Garten ist ja wirklich einzigartig.“

Linnea schmunzelte. „Danke für die Herausforderung, Morana. Aber nächstes Mal frag bitte vorher.“

Und so kehrte der Frieden und das Gleichgewicht in den fliegenden Garten zurück, während Linnea und die Welt um sie herum ein bisschen stärker und weiser geworden waren.