Lino und das Herz des Sternenlichts
Im endlosen Meer der Wolken segelte Lino, der kleine Luftpirat, mit seinem schillernden Luftballon-Schiff durch den Himmel. Er trug eine rote Piratenmütze, die viel zu groß für ihn war, und sein treuer Begleiter, ein frecher Windgeist namens Fizz, flatterte ständig um ihn herum.
„Lino, schau mal da drüben!“ rief Fizz und zeigte mit einem luftigen Finger auf einen hohen, gläsernen Turm, der inmitten der Wolken leuchtete. Der Turm funkelte im Licht der Sterne und schien zu summen, als ob er lebte.
„Das muss der Sternenlicht-Turm sein!“ murmelte Lino aufgeregt. „Der Ort, von dem die Alten immer erzählen. Im Inneren soll es ein funkelndes Herz geben, das Wünsche erfüllt.“
Doch kaum waren sie näher herangeschwebt, flatterte eine schwarze Gestalt vor ihnen durch die Luft. Es war Krummel, der Krähenkönig, sein Gefieder glänzend wie poliertes Ebenholz. Er trug eine glänzende, silberne Krone auf dem Kopf, die etwas schief saß. „Was willst du hier, kleiner Pirat?“ krächzte Krummel und blickte neugierig auf Lino herab.
„Ich möchte das Herz des Sternenlicht-Turms sehen“, sagte Lino entschlossen, während Fizz mutig einen Wirbelwind um ihn herum bildete.
Krummel neigte seinen Kopf. „Das Herz ist nicht für jedermann bestimmt. Nur jemand mit wahrer Tapferkeit und einem reinen Herzen kann es erreichen. Bist du sicher, du bist bereit für die Prüfungen des Turms?“ Seine Stimme war weniger feindselig als herausfordernd.
Lino nickte. „Ich bin bereit! Und ich werde beweisen, dass ich würdig bin.“
***
Der Sternenlicht-Turm war innen noch beeindruckender als außen. Die Wände waren aus schimmerndem Kristall, und das Licht der Sterne malte tanzende Bilder auf dem Boden. Doch die Luft war kühl, und Lino spürte eine seltsame Energie, die ihn gleichzeitig ängstigte und antrieb.
Krummel zeigte auf eine Wendeltreppe, die sich ins Nichts schraubte. „Du musst bis zur Spitze des Turms gelangen. Auf deinem Weg erwarten dich drei Prüfungen. Erst dann wirst du das Herz sehen.“
„Das klingt nicht so schwer“, sagte Lino leichtsinnig, aber Fizz piepte: „Sei vorsichtig, Lino! Nichts ist so einfach, wie es scheint.“
Die erste Prüfung erwartete ihn schon auf dem ersten Absatz der Treppe. Ein gewaltiges Rätsel schwebte in der Luft, Worte aus leuchtendem Nebel: „Ein Freund in Not, doch Hilfe ist fern. Wirst du teilen, was du selber begehrst?“
Plötzlich erschien eine kleine Wolkenkatze, die zitternd hinter einer Ecke hervorlugte. Ihr glänzendes Fell war verwuschelt, und sie miaute leise. Lino bemerkte, dass ihre Augen traurig auf sein mit goldenen Sternkeksen gefülltes Beutelsäckchen schauten.
Fizz hüpfte nervös um ihn herum. „Lino, was bedeutet das?“
Lino runzelte die Stirn. „Ich glaube, sie braucht etwas zu essen.“ Ohne zu zögern, öffnete er seinen Beutel und gab der Katze die Hälfte seiner Kekse. Die Wolkenkatze schnurrte zufrieden, und das Rätsel löste sich in funkelnden Sternenlicht auf. Die nächste Treppe wurde sichtbar.
***
Auf der nächsten Ebene der Treppe sprang ein großer Windwirbel um Lino und Fizz herum. „Dreht euch zurück, oder ich blase euch davon!“ donnerte der Wirbel.
Fizz schrie: „Ich kenne ihn! Das ist Trubel, der Sturmriese. Er ist sehr launisch.“
Lino trat einen Schritt vor. „Hallo, Trubel. Warum bist du so wütend?“
„Weil keiner mit mir spielen will!“ donnerte der Wirbel traurig. „Alle fürchten sich vor mir.“
„Vielleicht, weil du so groß und laut bist“, schlug Lino vor. „Aber ich habe da eine Idee! Fizz und ich könnten ein Spiel mit dir spielen.“
Trubel kräuselte sich vor Neugier. „Welches Spiel?“
„Fang den Piratenhut!“ rief Lino und warf seine große Mütze in die Luft. Trubel lachte tief und fing den Hut mit einem sanften Windstoß. Sie spielten eine Weile, und der Sturmriese wurde so glücklich, dass er ihnen den Weg zur nächsten Treppe zeigte.
„Danke, kleiner Pirat“, brummte Trubel. „Du bist ein mutiger Freund.“
***
Nun erreichten sie die Spitze des Turms. Vor ihnen schwebte das funkelnde Sternenlicht-Herz, so hell, dass es den gesamten Raum in ein sanftes Silberlicht tauchte. Doch bevor Lino näher treten konnte, erschien Krummel erneut.
„Dies ist die letzte Prüfung“, sagte der Krähenkönig. „Wirst du das Herz für dich selbst nehmen oder es für eine größere Sache nutzen?“
„Aber ich… ich habe doch gerade erst gelernt, wie wertvoll es ist!“ protestierte Lino.
Krummel nickte bedächtig. „Genau. Also, was ist dein Wunsch?“
Lino dachte an die hungrige Wolkenkatze und den einsamen Trubel. Dann sagte er leise: „Ich wünsche mir, dass alle, die traurig oder einsam sind, immer einen Freund finden – so wie ich Fizz habe.“
Das Herz begann zu pulsieren, warm und hell, und Krummel ließ ein zufriedenes Krächzen hören. „Nun, kleiner Pirat, hast du die wahre Stärke deines Herzens gezeigt. Das Sternenlicht ist jetzt ein Teil von dir.“
***
Als Lino und Fizz den Turm verließen, war der Himmel voller strahlender Sterne. Krummel winkte ihnen mit einem Flügelschlag hinterher, und Lino fühlte sich größer, stärker und mutiger als je zuvor.
Auf ihrer Rückreise durch das Wolkenmeer bemerkten sie, dass die Sterne um sie herum heller leuchteten. Fizz kicherte: „Du hast wirklich ein ganz schönes Abenteuer erlebt, Lino.“
Lino grinste. „Das habe ich Fizz, aber das Wichtigste habe ich gelernt: Es ist besser, Licht in die Herzen anderer zu bringen, als nur auf das eigene Glück zu achten.“
Und so segelten sie weiter durch den Himmel, immer neue Abenteuer suchend – Lino der Luftpirat, Fizz der Windgeist und das Licht der Sterne, das sie nie mehr verlassen würde.